Zur Eröffnungsrede von Hoffs
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Von den "Hünengräbern" zum Künstlerdorf Worpswede – Die Rassisierung der Kunst

Richard von Hoffs Rede anlässlich der Eröffnung der "Nordischen Kunsthochschule" am 9. April 1934 im Bremer Rathaus

von Hans Hesse, veröffentlicht am 9.4.2014 (Zitation des Beitrags: Hans Hesse, http://www.hans-hesse.de/html/zur_eroffnungsrede_von_hoffs.html)

"Niedersachsen, das Kernland der nordischen Rasse auf deutschem Boden, ist der vom Schicksal bestimmte Raum für die Errichtung einer Nordischen Kunsthochschule. Und Bremen, seit mehr als einem Jahrtausend Kraftmittelpunkt dieses Raumes, ist die gewiesene Stätte, wo sie Wurzel schlagen und ihre Wirksamkeit entfalten kann." Dies sind die ersten beiden Sätze aus der Rede des Bremer Bildungssenators Richard von Hoff anlässlich der Eröffnung der "Nordischen Kunsthochschule". Veröffentlicht hat NS-Senator von Hoff diese Eröffnungsrede in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift "Rasse. Monatsschrift der Nordischen Bewegung", Heft 2, 1934 (S. 69–81).

 In diesen Wochen jährt sich bereits zum 80.ten Mal dieser Eröffnungsakt im Bremer Rathaus. Aber noch immer ist die Geschichte dieser "Nordischen Kunsthochschule" (NKH) – immerhin der einzigen Neugründung einer Kunsthochschule im Nationalsozialismus – ein ungeschriebenes Kapitel über die NS-Zeit in Bremen. Grund genug, sich genauer mit den Anfängen dieser Einrichtung zu beschäftigen, und insbesondere mit der Eröffnungsrede, da sie über die Ziele und "Aufgaben einer Nordischen Kunsthochschule" – so der Titel von Hoffs Ansprache – Auskunft gibt. Mag für heutige Leser in dieser Eröffnungsrede vieles unausstehlich, verworren, ja, widerlich erscheinen, so wurde dennoch mit dieser Rede gewissermaßen der Anfangsakkord gesetzt. Und der Rahmen der Veröffentlichung seiner Rede in der Zeitschrift "Rasse" lässt keinen Zweifel daran offen, welche Leitlinien von Hoff vorschwebten. Für die Beurteilung der NKH und ihrer Geschichte ist es daher von zentraler Bedeutung, sich diese Anfangsworte, die von Hoff der Hochschule mit auf den Weg gab, zu vergegenwärtigen, quasi als Fundament, von dem aus die weitere Entwicklung der NKH aus beurteilt und eingeordnet werden kann und muss, es sei denn, man wolle solcher Art Ausführungen als die bei derartigen Anlässen üblichen 'Sonntagsreden' apostrophieren. Dieses gilt dann aber im Grunde auch für Hitlers "Mein Kampf".

 Grundsätzlich sah von Hoff in der NKH etwas "Neues" und "Einzigartiges". Es sei mit der Gründung "zum ersten Male in der Geschichte der Kunst der Nordische Gedanke bewusst und ausgesprochen zum Leitgedanken einer Kunsthochschule gemacht" worden (S. 69). Die anderen Kunsthochschulen und Akademien hätten zwar auch ihre Verdienste und Erfolge, aber der neue Gründungsgedanke der NKH sei in ihnen nicht vertreten: die Rassenlehre. Und von Hoff verwendete einen Großteil seiner Rede dieser NS-Ideologie und ihrer Übertragung auf die Kunst und die Kunstgeschichte. Sie ist der negative Hintergrund, der mit der Gründung der NKH seinen Gegenpol erhielt. Zunächst konstatierte er den vorläufigen Tiefpunkt der kulturellen Entwicklung und Kunstgeschichte: "Zersetzung auf der ganzen Linie, Missachtung völkischer Werte, Nachäffung entfremden Wesens" (S. 70) – so sei der Zustand vor 1933 gewesen. Das "Volk" habe sich von der "Afterkunst der Zeit" abgewandt und die Kunstausstellungen nicht mehr besucht. Der "Verfall" habe nach der Biedermeierzeit begonnen. Auch die gewonnenen Einigungskriege hätten dagegen nichts vermocht. Im Gegenteil habe sich die "Vermischung und rassische Entartung unseres Volkes" zunehmend bemerkbar gemacht. Erst der Nationalsozialismus habe "eine Weltenwende" herbeigeführt: "Er vollbrachte das Wunder, einem Geschlecht, das in Kleinmut, bürgerlicher Enge und Selbstsucht zu versinken drohte, ein heldisches Hochziel aufzustellen, das die Jugend und alle, die innerlich jung geblieben waren, mit Begeisterung erfüllte und schließlich das ganze Volk am Rande des Abgrundes zur Umkehr zwang" (S. 70). Der Kunst käme dabei die Aufgabe zu, "völkisch" zu sein, und diese "weltanschauliche Erneuerung", soll heißen: NS-Ideologie, müsse zu "rassischer Erneuerung" führen " (S. 71).

 Nach von Hoff habe man die Geschichte "noch gar nicht begriffen". Es sei die "Rasse", die "im Leben der Völker" die wirksamste "Kraft" darstelle. Die übliche Einteilung der Geschichte Europas in alte, mittlere und neuere Geschichte reiche als Erklärung für die Geschehnisse und Ereignisse nicht aus. Warum unterlagen die Griechen den Römern? Warum diese "dem Ansturm der Germanen"? "Warum stammten einst drei Vierteil aller bedeutenden Männer Frankreichs aus dem Nordosten ihres Vaterlandes?" Von Hoffs Antwort auf alle Fragen lautete: "weil damals nordische Menschen dort in genügender Zahl vorhanden waren und später nicht mehr" (S. 72f.). Die Kultur Europas sei seit 3.000 Jahren – "vermutlich aber schon vor dieser Zeit" – "eine Schöpfung der nordischen Rasse gewesen" (S. 72). Die nordische und die westische Rasse (letztere im Süden Europas) hätten "arteigene Kulturen" geschaffen. In der Bronzezeit hätten nordische Völker den Süden erobert. "Als dann nach 2.000 Jahren das nordische Blut im Süden versiegt war und die eingeborenen Rassenkräfte sich wieder zu regen begannen, brachte die germanische Völkerwanderung neue Blutströme aus dem Norden" (S. 72). "So ist die nordische Rasse Träger der europäischen Geschichte und Kultur durch Jahrtausende hindurch gewesen". Sodann wandte sich von Hoff der Kunst zu. Welche Art sei die Kunst, die die "nordischen Völker" hervorgebracht hätten? Er gab hierbei zu bedenken, dass die Höhepunkte sich weder räumlich noch zeitlich gleichmäßig über die Jahrhunderte verteilt hätten, sondern in den "Heldenzeitaltern der nordischen Völker" zu finden seien. Da seien anfangs die "gewaltigen Hünengräber". Dann die Luren, Musikinstrumente aus Bronze, die den "Hochstand der Technik" anzeigten. Oder der "Goldschatz von Eberswalde", dessen Tafelgeschirr und Schmuckgerät nach von Hoff vergleichbar sei mit denen der "homerischen Griechen" (S. 73). Über das Mittelalter sagt von Hoff, dass die "Gotik die höchste und reinste Form nordischer Wesensentfaltung" sei (S. 74). Danach sei kein "geschlossenes Bild" mehr erkennbar, gleichwohl heben sich "nordische Künstler wie Albrecht Dürer, Grünewald, Holbein und Tilemann Riemenschneider" ab. Auch Rembrandt zählt von Hoff zu den "nordischen Künstlern". Nach der Romantik versiegte nach von Hoff "der völkische Strom". Im Gegenteil, erst ein Aufenthalt im Ausland, vorzugsweise in Italien, habe fälschlicherweise als Voraussetzung für die künstlerische Ausbildung gegolten. Aber es gab Ausnahmen. Z.B.: "Eine kleine Schar solcher Männer, denen die Heimat noch nicht als ausgeschöpft galt, fand sich in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts unter der Führung Fritz Mackensens in dem Dörfchen Worpswede zusammen. […] Hier fand das Auge des Künstlers Muße, sich in die stille Schönheit nordischer Landschaft zu versenken und bodenständiges Bauerntum mit seinen eichenumrauschten Höfen im Bilde festzuhalten. So erwuchs aus diesem Moordörfchen Worpswede eine neue deutsche Kunst" (S. 74f.). Es sei eine "eigenartige Fügung des Schicksals", dass ebendieser Mackensen nun Direktor der NKH würde. Jener Mackensen, der "vor 50 Jahren unsere aus Marsch, Moor und Heide sich aufbauende engere Heimat für die deutsche Kunst entdeckte". Von Hoff sah demnach das "Moordörfchen" als eine Art gallisches Dorf, das sich gegen den Kunstschmutz (Stichwort "Afterkunst") der Moderne behauptet habe, u.a. weil die Vertreter dieser Blut und Heimatboden-Kunst die rassischen Voraussetzungen mitbrachten?

 Nach diesem aberwitzigen Parforceritt durch ca. 5.000 Jahre Kultur- und Kunstgeschichte in Europa, der den Bogen von den "Hünengräbern" bis zum "eichenumrauschten" Moordörfchen Worpswede schlug, kam von Hoff zu der Frage, welche Aufgabe der NKH zugewiesen werden sollten. Um dies beantworten zu können, müsse man jedoch zunächst klären, "welche Stellung die Kunst im Zusammenhange der nordischen Kultur" einnähme (S. 75). Was er damit meinte, wird aus den folgenden Absätzen deutlich. Der "nordische Mensch" sei durch "Frömmigkeit" geprägt, nicht allein gegenüber dem Christengott, sondern allgemein das Heilige. Des Weiteren seien "Ehre und Treue" zu nennen, wie schon die Nibelungen-Sage und der I. Weltkrieg zeigten. Sodann "Charakter" und "Sittlichkeit". Diese Begriffe bildeten die Grundlage, von der die Kunst "nicht grundsätzlich abseits stehen" könne (S. 76). Der Künstler müsse "in seinem Volke" wurzeln, wodurch sich die "völkische Eigenart" in seinem Werk zeigen werde. Die "mächtigste Kraft", die die "völkische Eigenart" präge, sei die "Rasse" (S. 77). Somit sei die "Rassenfrage" nicht nur der "Schlüssel zur Weltgeschichte", sondern zur "Kulturentwicklung" schlechthin. Kultur sei nur dort, wo "schöpferische Rassen" wirkten und nicht da, wo günstige Witterungsverhältnisse vorherrschten. Wäre dem so, so von Hoff in kaum noch zu steigernder Simplifizierung, "dann müsste das heutige Griechenland eine künstlerische Hochkultur besitzen wie vor zweieinhalbtausend Jahren". Damit sei, so von Hoff, der Zusammenhang zwischen Rasse und Kultur, aber auch der von Rasse und Kunst "festgestellt".

 Von Hoff wandte sich sodann der Frage zu, "wie eine Kunst beschaffen sein muss, damit wir sie als nordisch empfinden". Zunächst konstatierte er, dass diese Frage schwer mit Worten oder Begriffen zu beantworten sei, sei "das Wesen der Kunst gerade nicht Begriff, sondern lebendige Anschauung". Dennoch: Die Kunst sei um so nordischer, je nordischer die "Wesensanlage" des Künstlers sei und die müsse im Einklang stehen mit den o.g. "Charakterwerten" (Stichwort: Frömmigkeit, Ehre und Treue, usw.). "Schlichte Einfachheit, an Stelle der verwirrenden Künstelei, […] großzügige Klarheit der Formen […] wurzelstarke Echtheit, […] wohlgegliederter Aufbau, […] wertvoller Gehalt" (S. 77f.). Letztendlich gelte aber die Abwandlung eines Ausspruchs eines "altindischen Weisen", ursprünglich bezogen auf den Begriff Recht, nun auf das Wort "Kunst": Kunst sei, was "arische Männer" für Kunst erklären (S. 77)! Diesen an Einfach- und geistiger Schlichtheit kaum zu überbietenden Allgemeinplatz ergänzte von Hoff noch dadurch, dass die zum Urteil berufenden nordischen (=arischen) Männer bar jeglicher "fremdrassige(r) Anlagen" und ohne "wesensfremde äußere Einflüsse" gekennzeichnet sein sollten. War dies eine Stellenbeschreibung für die geforderte Qualifikation des Lehrkörpers? Von Hoff konstatierte jedoch: "Derartige Menschen aber sind heute selten" (S. 78).

 Von Hoff kündigte nunmehr an, die "Kernfrage nach der Aufgabe der nordischen Kunst, des nordischen Künstlers und damit der Nordischen Kunsthochschule" zu stellen. Der Kunst käme eine "Erzieheraufgabe" zu. Gesetze sprächen den Verstand an, die Kunst jedoch "die seelischen Kräfte des Menschen" (S. 78). "Echte Kunst" vermöge, sofern sie "aus Blut und Boden erwachsen", "in sieghafter Jugendfrische […] empfängliche Herzen […] begeistert mit sich fortreiß(en)" (S. 79).

 Aber damit noch nicht genug. Noch einmal kam von Hoff auf das Wort "Rasse" zurück, das für ihn der zentrale Begriff in diesem Zusammenhang war. Die wichtigste Aufgabe sei "die Mehrung der Zahl rassisch hochwertiger Menschen in unserem Volke" (S. 79). Was jedoch kann hierzu eine Nordische Kunsthochschule beitragen? Indem sie den "Volksgenossen" immer wieder dieses "rassische Wunschbild" vorführt: "ein gesunder, rassisch einwandfreier Leib, der dem nordischen Schönheitsgeist entspricht". Von Hoff versprach sich von der Vorführung solcher Wunschbildleiber und der damit verbundenen "Erziehung des Auges und des Herzens" Auswirkungen bei der "Gattenwahl". "Gleichzeitig muss die Kunst aber auch im Sinne der seelischen Aufnordung wirken, indem sie durch Schaffung echter nordischer Kunstwerke auf die Erzeugung eines rassisch gebundenen völkischen Wertbewusstseins hinwirkt" (S. 79). Das Ziel sei die künstlerische Höhe der "nordischen Griechen" oder das "gotische Mittelalter".

 Im letzten Abschnitt seiner Eröffnungsrede kommt von Hoff nochmals auf den Standort der neuen Hochschule zurück: Bremen. "Gerade hierin Bremen", so von Hoff, "befinden wir uns in einem uralten Mittelpunkte nordisch-niedersächsischer Kultur. […] Hier ist ohne Zweifel schon in der Vergangenheit heiliger Boden gewesen; denn unser Dom ist wahrscheinlich der Nachkomme eines germanischen Heiligtums" (S. 80). Und wieder skizziert von Hoff einen historischen Abriss, dieses Mal der Hansestadt, lobt den Kaufmannsgeist der Stadt, das Rathaus, bedauert, dass die Stadttore verschwunden seien, ist überzeugt von der "künstlerischen Gestaltungskraft der Ahnen." Pathetisch leitet er das Ende ein: "Und wenn es der deutschen Kunst im Morgendämmer einer kommenden Zeit einst gelingt, die blaue Blume eines neuen nordischen Stils zu finden, dann möge ihr Glanz in einem freien Vaterlande auch auf eine freie Hansestadt Bremen strahlen!" (S. 81). Von Hoff schließt seine Rede mit dem Gedicht "Zukunft" des "SA-Dichters" Heinrich Anacker, dem so genannten Dichter der Bewegung.

 Von Hoffs Rede war keine detaillierte Anleitung zum Malen und Schaffen. Sie war ein Abriss der Erwartungen, keine exakte Definition, sondern eine Rahmensetzung, innerhalb dessen sich die Arbeit der NKH entwickeln sollte. Und dieser Rahmen kreist um den Begriff "Rasse". Das, was die NKH von allen anderen Kunsthochschulen unterscheiden sollte, war die Anwendung der NS-Rassenideologie auf den Bereich der Kunst. Wurden diese 'Zielsetzungen' von Hoffs umgesetzt? Zunächst: Von Hoff unterlag einer Fehleinschätzung als er die Worpsweder Künstler, allen voran Mackensen, zu den Trägern dieser neuen, dieser NS-Kunst erklärte. Mackensen, ähnlich Nolde, war zwar überzeugter Nationalsozialist, ebenso wie sein Stellvertreter Hans Groß, aber das bedeutete nicht, dass seine Kunstauffassung von den NS-Machthabern, genauer: von Adolf Hitler, als Speerspitze der NS-Kunst aufgefasst wurde. Mackensen musste gehen, gleichzeitig wurde eine Studentengruppe um Mackensen zum Verlassen der NKH gezwungen. Nicht nur Mackensen ging. Auch der Architekt Fritz Höger ("Adolf Hitler- sein u. mein Herz sind gleich!") verließ die NKH, kaum dass er sein Arbeitszimmer bezogen hatte. Auch er ein Vertreter eines nordischen Expressionismus, von dem sich ebenso Nolde versprach, in führende Positionen der NS-Kunstpolitik zu gelangen. Vermutlich war schon die Berufung Carl Horns zum neuen Direktor das Ende vom Traum einer NKH, wie sie sich von von Hoff und Mackensen erträumt wurde. Dennoch werden erst detaillierte Untersuchungen zur NKH zeigen können, inwieweit die NS-Kunstpolitik an der NKH umgesetzt wurde. Auf die ns-konforme Studentenschaft konnte sich die Leitung der NKH jedenfalls verlassen, wie die Denunziation und spätere Hinrichtung des Soldaten und Kunststudenten Kurt Elvers zeigt. Heute erinnert ein Stolperstein am Wandrahm an ihn.

Zitation des Beitrags: Hans Hesse, http://www.hans-hesse.de/html/zur_eroffnungsrede_von_hoffs.html

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